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Apokalypse 0,6/6
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Meine Kusine Heike, 17 Jahre alt, hat mit dem Rauchen
angefangen. Nun sitzt sie auf der Nasnhojlschen Terrasse,
macht graue Wölkchen und sich Gedanken. "Beim Rauchen",
lautet ihre These, "sind wir wieder Babys an Mamas Brust.
Damit wäre auch geklärt, warum mehr Frauen als Männer
rauchen."

"Verkleidete Frauen?" Kurts Unaufmerksamkeit ist wieder nur
gespielt.

"Männer", erläutert die Kusine, "grapschen ewig nach dem
Original. Wir Frauen tun das auf einer höheren Entwicklungs-
stufe. Dafür haben wir uns die Zigarette erfinden lassen.
Stell dir vor: Zigaretterauchende Männer galten früher als
schwul."

"Arme Heike", sagt Kurt drohend und hat in Wirklichkeit
genau zugehört. "Du mußt ein total frustriertes Baby gewesen
sein. Beim Nuckeln an der Lulle kommt jedenfalls selten viel
mehr als heiße Luft. Soweit ich mich erinnere."

"Nimm mal an", erwidert die Kusine mit zusammengezogenen
Brauen und überlegt und inhaliert und achtet nicht Kurts
impertinenten Grinsens. "Also stell dir vor, du stehst mit
dem Fahrrad an der Ampel. Vor dir ein tschechischer LKW. Die
Minuten dehnen sich, bis es grün wird. Aus der leergepumpten
Lunge kriecht allmählich ein Gefühl der Betäubung herauf.
Da, der erste in der Reihe läßt den Motor an. Du stemmst
dich in die Pedale, gefährlich schwummrig schon im Kopf.
Eine letzte lange Sekunde noch. Die stinken ja grade beim
Anfahren. Da endlich, bäng! Der erste Lungenzug Sauerstoff."

"Bitte", seufzt Kurt, "und?"

"Manchmal kommt Luft besser als Milch."

"Dröhnung reimt sich auf Gewöhnung." Kurts Talent für
einprägsame Plattheiten ist bekannt. "Die Zigarettendealer
machen es nämlich wie alle anderen und mogeln ihren Stoff
über eine angenehme Gewohnheit in dein Leben. Nimm Tanzen
und Ecstasy, es ist immer das gleiche Muster, oder Niesen
und Schnupftabak."

"Gute Schnupfer niesen nie", pariert Heike, "das vorneweg.
Aber du verstehst die Zigarette nicht, verstehst du, ihr
Wesen. Trinken, Lieben, Atmen! Das sind keine dummen
Angewohnheiten. Das sind die existenzerhaltenden Reflexe
überhaupt."

"Der alte Urinstinkt", brummt Kurt, "dem trau ich nicht
weiter als ich ihn riechen kann. Da lebt man treu nach
seinen Geboten und stirbt eines Tages mit Raucherlunge."

Meine Kusine breitet theatralisch die Arme aus. "Halleluja!
Die Milch ist vergiftet, die Luft ist verpestet! Da ist das
ewige Paradox der Sterblichkeit. Wir Raucher inszenieren das
Leben und holen uns dabei den Tod. Man müßte Zigaretten
direkt auf die Kirchensteuer anrechnen."

Sie schnippt den Daumennagel gegen das Mundstück, Glut
leuchtet auf. "Rauchen könnte richtig religiös sein. Warum
erfindet nicht mal jemand eine Zigarette, die schmeckt?"